Text zur Ausstellung

Am 17. November 1921 wurde die Malerin Ursula Schultze-Bluhm, die mit „Ursula“ firmierte, in Mittenwalde (Brandenburg) geboren. Sie starb am 9. April 1999 in Köln. In ihrer Generation war Ursula eine der noch ganz wenigen Frauen in der Kunst. In ihrer Malerei ist sie einzigartig. Eigene und die Obsessionen sowie Aggressionen anderer sublimierte sie in eine gegenständlich gestaltete Welt von der zarten Tuschfederzeichnung zu schier zerreissender Form und Farbe im grossen Gemälde hin zur dritten Dimension in weichen Materialien, wie Pelz, jedoch mit Heftzwecken und Rasierklingen gespickt, die sich aus der Fläche zu Reliefs oder zu selbständigen skulpturalen Gebilden, ihren „Assemblagen“, entwickeln konnten oder – um 1970 – gar zu raumgreifenden sowie raumfüllenden Installationen, damals noch „Environments“ genannt.

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Ursula erlebte Niedergang und Zusammenbruch Mitteleuropas hautnah in ihrem prägenden dritten Lebensjahrzehnt. Den Wiederaufbau gestaltete sie als Mitarbeiterin des Amerika-Hauses in Frankfurt am Main mit und lernte dort den Maler Bernard Schultze kennen, dessen Lebens- und Arbeitsgefährtin mit bewunderungswürdiger Intensität sie bis zu ihrem Tode wurde. 1950 begann sie zu malen, ging von der flächigen Abstraktion etwa Willi Baumeisters aus, fand aber nach kurzer Zeit zu einer persönlichen Konkretion im Spannungsfeld von naiver Malerei, art brut und Informel. Trotz fünfzig Jahren Arbeitens mit Bernard Schultze in einem Raum näherten sich die Positionen beider nie, entwickelten sich vielmehr individuell in ständiger Diskussion und Konfrontation. Ursula schuf ihre eigene „individuelle Mythologie“ als Frau, die sie einsam und gross in ihrer noch völlig vom Mann beherrschten Künstlergeneration erscheinen lässt.

Erlebnisse und Obsessionen, Wirklichkeit und Traum, Reales und Imaginiertes gerinnen in scharfer Zeichnung von naiv-karikierender Form und heftigster, dissonanter Farbe. Hierdurch eröffnet Ursula ihr Inneres und versteckt und verteidigt es gleichzeitig stachelig, so wie sie später in den Pelzteilen ihrer grossen Assemblagen Heftzwecken und Rasierklingen verbarg, damit niemand ihrem verletzlichen Herz zu Nahe kommen konnte. Dieses und die Kunst - die ihres Mannes und ihre eigene - verteidigte sie kämpferisch bis zum Schluss.

Ob man ihr den Anflug von Lyrik in „Papillon“ von 1962 in dieser Ausstellung so recht glauben kann, stellt der zweite Teil des Titels „qui est un Icarus“ sogleich in Frage und Märchenhaftes wie in „Drei einsam im Kaleschen-Meer“ von 1963 erinnert mit „einsam“ sogleich an die vielen offenen und versteckten Grausamkeiten der Märchenwelt wie auch in „Vogel und das Lustschlösschen“ von 1971. Dahinter stehen konkrete Erlebnisse, wie in „Die Alte von M.“ von 1966, die Ursula in diesem Jahr bei einem Besuch in ihrem Geburtsort dort ganz plötzlich in einem Hinterhof auf einem hohen Sessel sitzen sah und die ihr noch aus der Zeit ihrer Geburt erzählen konnte. „Im Café“ von 1989 begegnet die Künstlerin den Schrecknissen des Alkohols und des Nikotins in Form eines von der Zimmerdecke sich zwischen sie und Glas sowie Zigarette herunterhangelnden gefährlichen Rieseninsekts. Der Aschenbecher auf dem Tischchen der rauchenden Trinkerin ist sogar als solcher beschriftet, vielleicht damit er nicht verfehlt wurde. Denn deren Wahrnehmung unterlag des öfteren heftigen Sinnestäuschungen, welche die Menschen in ihrer Nähe zu Monstern wandeln konnten, wie in „Le grand diner des petits monstres“. Vielleicht waren die „petits monstres“ auch Kinder, zu denen die kinderlose Künstlerin ein höchst ambivalentes Verhältnis von rührender Zuneigung bis geradezu gespenstischer Abneigung hatte.

Der „feinen Gesellschaft“ begegnet sie in all deren Skurrilität in der hoheitsvoll gestelzten „Impératrice des Indes“ von 1995, vielleicht nur eine aufgepfaute Zeitgenossin, im Zufallszusammentreffen von „Die Frau, der Vogel und die Kröte“ im Jahre 1996 oder einem „Bizarren Trio“ in China sowie einem Riesenhund in „Welch eine Begegnung“ und sich „Um einen Schwan“ herumdrapierenden Figuren im selben Jahr. Waren diese Beobachtungen eher ironisch kommentierte Absonderlichkeiten von Menschen und Situationen, so gestaltet sich die Gesellschaft wieder abgrundtiefer in „Die zwei Schwestern“ von 1997, die offensichtlich wenig Gemeinsames haben, und der „Terror-Maskerade“ desselben Jahres in Form  der Masken des Chors im griechischen Theater, der Masken des Totentanzes der Mary Wigmann oder der Schauerfiguren in winteraustreibenden Frühlings-Umzügen der Alpenländer. Am Ende der Ausstellung gibt die Malerin einen Rückblick auf „Eine feine Gesellschaft“.bzw. auf deren Köpfe von seltsamer Vielgestalt.

Nicht nur inhaltlich geht Ursula völlig eigene und eigenständige Wege, auch ihre Ausdrucksmittel und ihre stilistischen Möglichkeiten schöpft sie allein aus sich. Es gibt weder Vorbilder noch Vergleichbares. Das ist erstaunlich und das dürfte der Grund dafür sein, dass ihr Werk bis heute noch nicht die Beachtung im Kunstbetrieb erfuhr, die ihm aufgrund seiner Originalität und Qualität gebühren würde. Ursula selbst, der Kämpferin, waren diese Tatsachen in völliger Selbstverständlichkeit durchaus bewusst. Leider konnte sie das für Frauen in dieser Situation in heutiger Zeit oft so wesentliche neunte Lebensjahrzehnt nicht mehr erleben. Unsere Freundin starb für uns alle sehr plötzlich am 9. April 1999 in Köln.

1991 zeigten wir noch in Campione d’Italia eine Retrospektive von Ursula mit Katalog und 1998 in Wichtrach/Bern eine Doppelausstellung gemeinsam mit dem Werk von Bernard Schultze. Diesmal steht unsere Ausstellung Ursula im Kontext der parallelen Ausstellung „Frauen“, beide im Haupthaus der Galerie, ein Hinweis auf die so enorme aktive wie passive Rolle der Frau im Kunstbetrieb, ein Hinweis, der den immer noch latenten Machismo vielleicht wieder ein kleines Stück mehr ad absurdum führen sollte.

Kurz nach unserer Ausstellung von 1991 zeigte unsere unvergessene Kommilitonin Sabine Fehlemann Ursulas Lebenswerk im Von der Heydt-Museum in Wuppertal, im Stadtmuseum Köln und in der Kunsthalle Bremen mit  einem umfassenden im Hirmer-Verlag in München erschienenen Katalogbuch. Die ebenfalls unvergessene Konservatorin des Ludwig Museums in Köln, Evelyn Weiss, publizierte 2007 die grundlegende Monographie zu Ursula, ebenfalls im Hirmer-Verlag in München, mit eigenen und Beiträgen von Heinz Althöfer, Barbara Herrmann und Christa Lichtenstern sowie dem Verzeichnis sämtlicher Werke von Barbara Herrmann.

Wolfgang Henze

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