Panta rhei – Alles fliesst
Zu Zweit mit Ursula & Bernard Schultze
«Alles fliesst», so heisst ein Kapitel des Kataloges der 2023 international gefeierten RetrospektiveUrsula – Das bin ich. Na und? im Museum Ludwig in Köln. Alles fliesst – wieder, muss man sagen, denn die Ausstellung in Köln folgt auf eine zähe, fast drei Jahrzehnte lange Phase einer institutionellen Ausstellungsflaute und entsprechender Marginalisierung des künstlerischen Oeuvres von Ursula (1921-1999).
Dieses Schicksal teilt die Künstlerin mit vielen anderen Frauen in der Kunst – ebenso geteilt ist nun aber auch ein in den letzten Jahren wiedereinsetzender Fluss der Rezeption weiblicher, oftmals historischer Positionen. Die dadurch stattfindende, längst hinfällige Wiedereingliederung wichtiger Positionen in den Kanon der Kunstgeschichte, findet ihre Resonanz auch über das Kunstfeld hinaus, in der Gesellschaft und ist Teil des aktuellen Zeitgeistes.
Die Formel des Panta rhei – auf Griechisch alles fliesst – ist Leitmotiv der Ausstellung zu Zweit mit Urusla und Bernard Schultze. Als spezifische Lesart ist die Formel nicht nur auf Arbeiten von Ursulas anwendbar, sie ist auch eng mit dem Werk von Bernard Schultze verbunden ist, seinerseits Ehemann, Atelier- und Lebenspartner von Ursula.
Ähnlich zur intimen Ateliersituation des Künstlerpaares, soll die Ausstellung im Dachgeschoss der Galerie eine Situation des Nebeneinanders und der gleichzeitigen Nähe schaffen und zugleich, über die Formel des Panta rhei ein Eintauchen in die komplexen Bildwelten von Ursula und Bernard Schultze ermöglichen.
Header: Zwei Portrai-Grafiken aus dem Mappenwerk "Porträt" zu Urusla & Bernard Schultze, 1967
Ursula und Bernard Schultze, 1985
Bild: Prof. Adolf Clemens / Quelle: Deutsches Kunstarchiv im Germanischen Nationalmuseum
Video: vimeo.com/museumludwig
Ursula — Das bin ich. Na und?
Mit der Ausstellung Ursula — Das bin Ich. Na und? widmete das Museum Ludwig der Künstlerin nach über 30 Jahren die erste umfassende Museumsausstellung und ermöglicht damit eine Neubetrachtung ihrer Arbeit. Die Skulptur "Die Wächter" war als Leihgabe prominent in der Ausstellung in Köln vertreten.
Porträt
– Mappenwerke von Ursula & Bernard Schultze
Eine erste, hervorragende Gelegenheit des Nebeneinanders und Ausgangspunkt der Ausstellung, bilden die beiden 1967 in der selben Reihe erschienen Mappenwerke "Porträt" herausgegeben von der Dieter Brusberg. Neben je drei stilisierten Portraits der Künstler in Form von Serigraphien gestaltet von Karin Szekessy, bilden je drei originale Radierungen das Highlight der beiden Mappenwerke.
Ursula
Porträt Ursula
1967
Folge von Farbradierungen & Fotoserigraphien von Karin Szekessy
Exemplar 58/60
22.5 x 55.5 auf 50 x 65 cm (Radierungen)
50 x 65 cm (Serigraphien)
2900.00 CHF
Bernard Schultze
Porträt Bernard Schultze
1967
Folge von Farbradierungen & Fotoserigraphie von Karin Szekessy
Exemplar 28/60
49 x 51 cm & 50 x 65 cm
Installationsansicht, links/rechts: Gegenüberstellung der original Radierungen der beiden Mappenwerke "Porträt" von 1967. Mitte: Bernard Schultze, Phönizisch, 1989.
Ursula
– Bildwelten selbstorganisierter Energie
«Ursulas Bilder sind voller Menschen und Tiere, Pflanzen und Dinge, die sich in Verwandlung befinden […] In Ursulas Bildwelten gibt es keine Unterscheidung zwischen belebter und unbelebter Materie, vielmehr schein es, als wohne den Dingen eine selbstorganisierende Energie inne. Dahinter steht eine Weltauffassung, wie sie auch der Philosophie Ovids zu grund liegt. Indessen Metamorphosen heisst es: ‘Alles fliesst, es bildet sich wechselnd jede Erscheinung’».
Ursula Das bin ich. Na und?, Katalog der Ausstellung: Museum Ludwig, Köln, 18.3 – 23.7.2023, hrsg. von Stephan Diederich, Verlag Walter König 2023, S.135
Ursula
Die Beiden versteinert im Gebirge
1997
Buntstift auf weissen Karton
51 x 65,5 cm
15'500.00 CHF
Ursula
Die Wächter-Familie
1986
Vier Holz-Figuren, sämtlich ausgesägt, an den Rändern vergoldet,
mit Öl und Lack doppelseitig bemalt.
Zwei Figuren: 180 x 40 x 1,8 cm.
Zwei Figuren: 139,5 x 40 x 1,8 cm.
85'000.00 CHF
1987, Ursula in der Ausstellung im Museum Folkwang vor der Wächter-Familie.
Photo: Ursula, hrsg. von Evelyn Weiss, HIrner Verlag, 2007, S. 77.
Ursula
UM einen Schwan
1996
Öl auf Leinwand
60 x 80 cm
39000.00 CHF
Installationsansicht mit Gegenüberstellung zweier Werkpaare von Ursula und Bernard Schultze, in der Mitte Ursula's Gemälde "Welch eine Begegnung", 1996.
Bernard Schultze
– Vernetzung zur organischen Einheit
Bernard Schultzes Bilder zeichnen sich aus in einer « […] Parallelität künstlerischer Gestaltungsabläufe und naturhafter Entstehungs- und Verfallprozesse. Wie biomorphe Gebilde wachsen die gestalthaften Formfindungen im Verlauf des Malvorgangs, werden zum Teil wieder von anderen Formationen überlagert und vernetzen sich zur organischen Einheit.»
Stephan Diederich, Unbegreifliches Leben der Wälder, in: Bernard Schultze. Welt im Farbrausch, Katalog der Ausstellung im Museum Ludwig im Russischen Museum, St. Petersburg, 2002, hrsg. von Joseph Kiblitsky, Palace Editions 2002, S. 6.
Bernard Schultze
Wie ein Fest
1982
Öl auf Leinwand
100 x 120 cm
23'000.00 CHF
Detailansicht: Bernard Schultze, Ein Lanzelot Erlebnis, 1987
Diese selbstorganisierende Energie der Dinge bei Ursula und die sich zur organischen Einheit vernetzenden Formfindungen von Schultze folgen beide der Formel des Panta rhei.
Das Fliesende und stetig Wechselnde, das Wachsende, Wuchernde und Zerfallende, ist in beiden Werken überaus präsent. Die teils mikroskopische Kleinteiligkeit der Gestaltung, oft ohne erkennbaren Ausgangs- oder perspektivischen Anhaltspunkt, changiert im nächsten Augenblick zu einem Makrokosmos von provoziertem Chaos um sich dann – wie es Schultze sagt – in komplizierter Ordnung aufzulösen.
Das Chaos mag vordergründig dem Werk von Schultze näher sein, Ursulas Arbeiten bleiben oft einer erkennbaren wenn auch surrealen Bildidee verhaftet, die sich in ihrer äusseren Form selten vollständig auflöst. In ihrer Essenz harmonieren beide Werke mit der für diese Ausstellung zentralen Passage in Ovids Metamorphosen:
Keines verbleibt in derselben Gestalt, und Veränderung liebend
Schafft die Natur stets neu aus anderen andere Formen,
Und in der Weite der Welt geht nichts – das glaubt mir – verloren;
Wechsel und Tausch ist nur in der Form. Entstehen und Werden
Heißt nur anders als sonst anfangen zu sein, und Vergehen
Nicht mehr sein wie zuvor. Sei hierhin jenes versetzet,
Dieses vielleicht dorthin: im Ganzen ist alles beständig.
Treffend kommentiert die Kunsthistorikerin Helena Kuhlmann, dass «diese berühmte Rede in ihrer Gesamtheit ebenso aufschlussreich für die Arbeiten Ursulas, wie sie in unseren (modernen) Zeiten aktuell zu sein scheint.» Dies ergänzend, kann Dasselbe auch für das Werk von Bernard Schultze gelten.
Publius Ovidius Naso, Metamorphosen, 15. Buch(Pythagoras), in der Übertragung von Johann Heinrich Voss (1798), aus: projekt-gutenberg.org, url: https://www.projekt-gutenberg.org/ovid/metamor/meta151.html
Bernard Schultze
An Gione
1982
Öl auf Leinwand
140 x 95 cm
28'000.00 CHF
Schaffensprozesse
– Der Künstler komponiert nicht mehr auf ein vorher geplantes Ergebnis hin, ganz im Gegensatz zur Künstlerin
In Bezug auf das Werk von Ursula und Bernard Schultze impliziert das Panta rhei neben inhaltlichen Aspekten, auch die Frage nach dem Schaffensprozess, vermutet man doch eine ebenso sich im Fluss befindende Arbeitsweise. Für Schultze kann dies bejaht werden, Stephan Diedrich beschreibt seinen Arbeitsprozess anschaulich:
Am Anfang steht die weiße Leinwand. Von einem, häufig auch mehreren Punkten ausgehend, tastet sich Bernard Schultze in den Bildraum vor, treibt eine Farb-Form ein Stück weit, um sie sich dann verzweigen zu lassen oder abzubrechen, erneut anzusetzen und in eine andere Richtung weiterzuentwickeln. Dabei dreht er verschiedentlich den Bildträger, ändert die Richtungsachsen von Horizontal und Vertikal, Oben und Unten, schafft so während des Malvorgangs neue bildräumliche Situationen. Schritt für Schritt entstehen komplexe Geflechte [...] teils an Verästelungen im Luftraum, dann wieder an Verwurzelungen in erdiger Materie oder undurchdringliches Dickicht erinnern.
Die künstlerische Haltung im Schaffensprozess von Schultze ist klar dem Informel verpflichtet, wie Ihn der Künstler in Deutschland der 50er Jahre als Protagonist prägte.
Stephan Diederich, Unbegreifliches Leben der Wälder, in: Bernard Schultze. Welt im Farbrausch, Katalog der Ausstellung im Museum Ludwig im Russischen Museum, St. Petersburg, 2002, hrsg. von Joseph Kiblitsky, Palace Editions 2002, S. 7.
Bernard Schultze im Studio,
Photo: Bernard Schultze. Rausch der Farbe, Ausstellungskatalog, Museum Ludwig im Russischen Museum St. Petersburg, 2002.
Der Künstler Schultze komponiert nicht mehr auf ein vorher geplantes Ergebnis hin, ganz im Gegensatz zur Künstlerin Ursula:
Ich erkläre hiermit, dass alles in meiner Arbeit ganz vernünftig zugeht, sagt Ursula, und weiter: Das Bild sitzt im Gehäuse meines Kopfes und wartet in die Aussenwelt, auf die Leinwand entlassen zu werden.
Bernard Schultze seine Frau beobachtend: Die wilde zeichnende Gestik umreisst zu Beginn groteske Figuren. […] Und danach wie in einer Umkehr beginnt das so ungeduldige Darübergebeugt sein […]. In grosser Beharrlichkeit wird Stück um Stück fertig gemalt, und zum Ende fügt alles sich zu jedem, zur ‘heiligen Fläche’ verzahnt, ohne jedwede Korrektur danach. Das frappiert.
Die Bewunderung Schultzes, vergleicht Kuhlmann mit Ovids Beschrieb des wundersamen Prozesses der Materialmetamorphose bei der lydischen Webkünstlerin Arachne, die so begabt war, dass man meinte, die müsse von Athene beschenkt sein: ‘Nicht nur die fertigen Stoffe, nein, auch sie werden zu sehen, war ein Vergnügen, mit solcher Gefälligkeit übt’ sie ihr Können’.
Frappantes Detail, Bernard Schultze gab Ursula schon kurz nach ihrem Kennenlernen den Spitznamen Spinne und die Künstlerin benutze diesen öfters auch zum Signieren von Werken. Die Anekdote ist ein weiteres Beispiel der engen Verflechtung des Panta rhei im Werk und gemeinsamen Leben «zu Zweit» von Ursula und Bernard Schultze.
Helena Kuhlmann, ‘fast wie eine innere Uhr’ Die Metamorphose als ontologisches Prinzip in der Kunst Ursulas, in: Ursula Das bin ich. Na und?, Katalog der Ausstellung: Museum Ludwig, Köln, 18.3 –23.7.2023, hrsg. von Stephan Diederich, Verlag Walter König 2023, S.32.
Installationsansicht: Links/Rechts: Gegenüberstellung der original Radierungen der beiden Mappenwerke "Porträt" von 1967. Mitte: Bernard Schultze, Phönizisch, 1989.
Zu Zweit
– Miteinander, gegeneinander
Das Schlusswort zu einer Ausstellung des Neben- und Miteinanders zweier starken künstlerischen Positionen mit doch so unterschiedlichen Laufbahnen, soll Manfred de la Motte gehören, der das (Werk-)Verhältnis von Ursula und Bernard Schultze in ihrem Künstlerbuch mit dem Titel «zu zweit» folgendermassen formulierte:
«Wärst du stolz, wenn ich exakt nachweisen würde, wie wenig Du der Ursula verdankst – oder wärst du glücklich, wenn ich mich analytisch um genau das Gegenteil bemühen würde. Das wäre läppisch und sinnlos – und beides vollkommen falsch.
Belassen wir es beim «Zu Zweit»: miteinander, gegeneinander, jeder der Wetzstein des anderen, und jede (für Laien) gelegentliche Ähnlichkeiten wäre dann rein zufällig, wie im Kino, aber nicht im Leben.
Manfred de la Motte aus dem Vorwort zum Künstlerbuch "Zu Zweit" von Ursula & Bernard Schultze, in: Zu Zweit. Ursula. Bernard Schultze,Künstlerbuch, Edition B, 1993.
1972, Ursula und Bernard Schultze im Atelier Riehler Strasse, Köln.
Photos in: Ursula, hrsg. von Evelyn Weiss, HIrner Verlag, 2007, S. 71.
Zu Zweit. Ursula. Bernard Schultze, Künstlerbuch, Edition B, 1993.Bild: Prof. Adolf Clemens, Quelle: Deutsches Kunstarchiv im Germanischen Nationalmuseum